Unterhaltstitel im Insolvenzverfahren – darauf sollte man achten

Befreit das neue Insolvenzrecht nach einer Dauer von (nur noch) drei Jahren von (fast) allen Schulden, so werden Unterhaltsschulden oft vernachlässigt oder stiefmütterlich behandelt. Viele Schuldnerberatungsstellen gehen darauf überhaupt nicht oder nur am Rande ein. Unterhaltspflichtige Schuldnerinnen und Schuldner, vor allem mit mehreren minderjährigen Kindern, sollten nachfolgende Ausführungen unbedingt verinnerlichen.

Die meisten Unterhaltsschuldner /-innen, die nicht mit ihren Kindern zusammenleben, lassen dich den Unterhalt vom Jugendamt im vereinfachten Verfahren festsetzen. Jugendamtsurkunden sind vollstreckbare Unterhaltstitel für Kinder und kinderbetreuende Eltern, die Mitarbeiter des Jugendamts (Urkundspersonen) ohne lange andauerndes Gerichtsverfahren errichten. Mit diesem Titel kann das minderjährige Kind bzw. dessen Erziehungsberechtigter oder das Jugendamt im Wege der Beistandschaft den Unterhalt gegenüber dem Schuldner schnell vollstrecken. Die Höhe des Unterhalts wird im Titel festgesetzt und richtet sich in der Regel nach der Düsseldorfer Tabelle.  Weil die Unterhaltsgläubiger bzw. deren Vertreter den Unterhalt nur selten regelmäßig anmahnen, verliert man diese Schulden schnell aus dem Auge. Viele Schuldner /-innen haben keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern und ehemaligen Lebenspartnern mit der Folge, dass sie sich nicht um den Unterhalt für diese kümmern. Ebenso wenig denken sie daran, Unterhaltstitel abändern oder für kraftlos erklären zu lassen, wenn eigentlich weniger bzw. gar kein Unterhalt mehr bezahlt werden müsste.

Es ist nahezu unmöglich, eine Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind zu verlieren.  Häufig berufen sich Schuldner- innen darauf, sie können den Unterhalt an ihr minderjähriges Kind nicht leisten, weil das ihnen zur Verfügung stehende Gehalt „nicht ausreicht“. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie von der Zahlung des Unterhalts entbunden sind. Vielmehr häufen sich die Schulden gegenüber den Kindern monatlich an. Man spricht von einem „Mangelfall“, bei dem an gleichberechtigte Unterhaltsberechtige das dem Schuldner zur Verfügung stehende Einkommen zu gleichen Teilen aufgeteilt wird. Der materiell-rechtlich bestehende Unterhaltsanspruch ist jedoch in solchen Fällen wesentlich höher. In Höhe der Differenz zwischen geschuldetem und tatsächlich bezahltem Unterhalt entstehen neue Verbindlichkeiten des Unterhaltsschuldners, die monatlich ansteigen.

An einem vereinfachten Beispiel soll dies erklärt werden:

Schuldner X hat zwei minderjährige Kinder im Alter von einem und drei Jahren, die bei der getrennt lebenden Mutter leben. Er verdient netto monatlich 1.500 €. Sein Selbstbehalt wurde gerichtlich auf 850 € festgesetzt. Nach der Düsseldorfer Tabelle schuldet X jedem Kind gesetzlich einen Unterhalt von monatlich 393 €. Das Jugendamt pfändet den monatlichen Unterhalt beim Arbeitgeber.

Einkommen: 1.500 €

abzgl. notwendiger Selbstbehalt:  850 €

bei einer Pfändung nach § 850 d ZPO pfändbar (Vorrechtsbereich): 650 €

bleiben für jedes Kind (650 €/ 2) :  325 €

Differenz zum materiell-rechtlichen Anspruch

393 € ./. 325 € = 68 € je Kind.

Die Unterhaltsrückstände erhöhen sich also monatlich um insgesamt 136 € bzw. 68 € je Kind.

Unterhaltszahlungen während des Insolvenzverfahrens

Im Insolvenzverfahren fallen Unterhaltsschulden, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind, ebenso wie andere gewöhnliche Insolvenzforderungen unter die Restschuldbefreiung. Von der Möglichkeit der Anmeldung einer Unterhaltsschuld aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung nach § 302 Abs. 1 Nr.1 InsO wird so gut wie kein Gebrauch gemacht. Die oben genannten Differenzforderungen sind nach Insolvenzeröffnung wegen § 40 InsO Neuverbindlichkeiten des Schuldners, sie können eingeklagt und auch vollstreckt werden.  Auch wenn § 89 Abs. 1 InsO die Zwangsvollstreckung für Insolvenzgläubiger verbietet und der pfändbare Anteil am Gehalt des Schuldners dem Insolvenzverwalter zusteht, kann der Unterhaltsgläubiger gemäß § 89 Abs.2 InsO in den sog. Vorrechtsbereich vollstrecken. Dem Schuldner verbleibt daher nur der sozialhilferechtliche Mindestsatz, sog. Selbstbehalt. Darüber hinaus kann nach neuem Recht nach erteilter Restschuldbefreiung für neu angesammelte Schulden erst nach elf Jahren ein neues Insolvenzverfahren mit Restschuldbefreiung beantragt werden. Für die Betroffenen macht ein Insolvenzverfahren wenig Sinn, wenn sie mehrere Unterhaltsverpflichtungen gegenüber minderjährigen Kindern haben und diese nicht vollständig bedienen können.  Im obigen Beispielsfall erhöhen sich die Unterhaltsschulden des X je Kind um monatlich 68 €. Bei einer dreijährigen Laufzeit hat X also am Ende des Insolvenzverfahrens mindestens 4.896 € neue Verbindlichkeiten gegenüber seinen Kindern. Mindestens deswegen, weil nach der Düsseldorfer Tabelle der Kindesunterhalt mit zunehmendem Alter der Kinder ansteigt.

Welche Überlegungen sollte man also bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens und bestehenden (Bar)unterhaltspflichten bedenken?

  • Schuldnerinnen und Schuldner mit minderjährigen Kindern sollten sich daher bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens bewusst sein, dass der laufende festgesetzte Unterhalt wenn irgend möglich bezahlt werden muss, wenn nicht weitere Schulden angehäuft werden sollen. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhöht sich deren Leistungsfähigkeit in aller Regel erheblich, Ratenkredite und sonstige Dauerschuldverhältnisse fallen weg, so dass auch nach Abführung des pfändbaren Betrages an den Insolvenzverwalter wesentlich mehr an Einkommen zur Verfügung steht als vor der Insolvenz.
  • Weiterhin sollte man das Bestehen der Unterhaltspflichten regelmäßig überprüfen, und auch dann, wenn die Kinder bei der Mutter bzw. dem Vater wohnen und der Kontakt „eingeschlafen“ ist, immer wieder nach dem Verdienst und dem beruflichen Werdegang der Kinder fragen. Denn bei Volljährigkeit und eigenem Einkommen des Unterhaltsberechtigten verringert sich oder erlischt auch der materiell-rechtliche Unterhaltsanspruch des Berechtigten. In diesem Fall sollte eine Abänderung des Titels angestrebt werden. Denn auch wenn  mit der Volljährigkeit des Kindes kein Unterhaltsanspruch mehr besteht, weil das Kind genug eigenes Einkommen hat oder andere Gründe dafür vorliegen, darf die Unterhaltszahlung nicht einfach eingestellt werden. Es kann so lange aus dem bestehenden Unterhaltstitel vollstreckt werden, wie dieser in der Welt ist. Auf Anfrage muss der Unterhaltsberechtigte Angaben zu seinem eigenen Verdienst und sonstigen Einnahmen machen. Wenn er diese nicht freiwillig macht, kann der Auskunftsanspruch gerichtlich erzwungen werden, § 1605 BGB. Die Abänderung/Aufhebung des Titels kann dann nach Kenntnis der Änderungen ebenso im vereinfachten Verfahren beim Jugendamt vollzogen werden.

Versäumt man dies im laufenden Insolvenzverfahren, so läuft man Gefahr, dass der Unterhaltsberechtigte später schlechtestenfalls viele tausend Euro als Neuverbindlichkeiten geltend macht. Die Insolvenz wäre somit „für die Katz“ gewesen.

  • Ein Unterhaltstitel kann auch dann abzuändern sein, wenn der Unterhaltsschuldner längere Zeit krank und nicht erwerbsfähig ist. Bei (eingeschränkter) Erwerbsfähigkeit entfällt die Unterhaltspflicht oftmals ganz. Besteht keine Unterhaltsverpflichtung, so können auch keine weiteren Schulden sich anhäufen. Ein fiktives Einkommen kann nicht angenommen werden, wenn man gar nicht zum Arbeiten in der Lage ist.
  • Ein häufiger Fehler ist die Annahme des Schuldners, bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder Jobverlust entfiele die Unterhaltspflicht. Es ist zwar richtig, dass vollstreckungsrechtlich nichts gepfändet werden kann, wenn rein tatsächlich kein Geld zum Pfänden verdient wird bzw. der Schuldner staatliche Unterstützungsleistungen unterhalb des Selbstbehaltes bezieht. (Materiell) rechtlich aber besteht die Unterhaltsleistung fort. Das Gesetz unterstellt dem Unterhaltsschuldner quasi ein fiktives Einkommen. Die fortlaufende Unterhaltsverpflichtung kann lediglich dann komplett entfallen, wenn der Schuldner in der Woche sechs bis sieben Bewerbungen schreibt und diese erfolglos bleiben. Will man nach der Insolvenz also nicht wieder insolvent sein, so sollte man sich tunlichst und mit aller Kraft um einen neuen Arbeitsplatz bewerben. Man schlägt dabei gleich zwei Mücken mit einer Klatsche. Denn zum einen beugt man Versagungsanträgen nach §§ 290 Abs. 1 Nr. 7, 287 b InsO InsO vor, zum anderen wird eine Neuverschuldung wegen des sich ansammelnden rückständigen Unterhalts dadurch vermieden. 

Wer diese vier Punkte beachtet und sich im Verfahren diesbezüglich ein wenig engagiert, kann auch mit bestehenden Unterhaltsverpflichtungen ein Insolvenzverfahren erfolgreich und ohne Neuverschuldung zu Ende führen.