Erst wenn sich Rechnungen und Mahnungen stapeln, Gläubiger anrufen, die Bank die Kreditlinie streicht oder der Steuerberater Alarm schlägt oder in viel zu vielen Fällen erst bei Vollstreckungen oder Insolvenzanträgen von Gläubigern, wobei zumeist sind Finanzbehörden oder Sozialversicherungsträger die Schnellsten sind, sucht ein nicht unerheblicher Teil der Verantwortlichen professionellen Rat.
Leider befinden sich die Geschäftsführer in dieser Lage meist auch in einer Ausnahmesituation, manchen fällt sehr schwer, die Vermögenslage sachgerecht zu erfassen, menschliche Verdrängungsmechanismen scheinen dabei eine erhebliche Rolle zu spielen.
Die Rechtsordnung hat für solche Fälle kein Verständnis. Wer nicht oder zu spät – die Höchstfrist beträgt drei Wochen – einen Insolvenzantrag stellt, wird bestraft. Das gilt bereits dann, wenn man mit der Aufstellung der Vermögenslage in Verzug ist (Bilanzen etc.).
Alle Insolvenzentscheidungen werden, und das ist verpflichtend, vom Insolvenzgericht mit einem Kurzrapport zu möglichen Auffälligkeiten den Staatsanwaltschaften vorgelegt. Das Ergebnis ist nicht immer, aber häufig, ein Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführer.
Dass bezüglich der Häufigkeit der Ermittlungsverfahren sehr große regionale Unterschiede festzustellen sind, ist vielen Betroffenen kaum vermittelbar. Dies betrifft nicht nur die Ermittlungschwellen, also ab wann die Behörden überhaupt ermittelnd einschreiten, sondern auch die stark differierenden Strafen, die im Falle einer Verurteilung ausgesprochen werden.
Dies reicht von Verfahrenseinstellungen ohne Auflagen bis hin zu hohen Geld- oder niederschwelligen Bewährungsstrafen für Ersttäter bei identischen Sachverhalten.
Diese Gefälle, die nicht mehr nur vom Süden in den Norden reichen sondern viel feingliedriger geworden sind, sind aber nicht nur im Insolvenzstrafrecht zu verzeichnen. Sie dürften im richterlichen Spielraum meistens wohl auch rechtstaatlich noch zu rechtferigen sein.
Viel problembehafteter ist der Umstand, dass Unternehmer, die in aller Regel von ihrer Sinneseinstellung weit entfernt von Straftätern sind, auf einmal für sie völlig überraschend Beschuldigte oder gar Angeklagte in einem Strafverfahren werden, gleichwohl sie sich meist gar keiner Schuld bewusst sind. Erst im anwaltlichen Beratungsgespräch wird ihnen deutlich, dass sie etwas falsch gemacht haben sollen. Sie wollten ja schließlich nur das Unternehmen retten und haben ihre Verplichtung, einen Eröffnungsantrag zu stellen, gar nicht gesehen. Sie waren noch voller Hoffnung und wollten möglicherweise ja auch noch Arbeitsplätze erhalten.
Im Beratungsgespräch hören Anwälte auch immer wieder, dass Insolvenzverwalter ja nicht gerade den Ruf genießen, kleine Unternehmen zu sanieren, weil es wirtschaftlich für sie nicht interessant sei. Das sei einmal dahingestellt, aber das allgemeine Vertrauen in die Insolvenzverwaltung ist, und das kommt zum fehlenden Unrechtsbewusstsein dazu - gelinde formuliert - nicht besonders gut.
In der Praxis der Insolvenzberatung sind das keine Einzelfälle, sondern Regelfälle. Der rechtzeitig erscheinende gut vorbereitete Geschäftsführer einer Kleingesellschaft bleibt leider die Ausnahme: Meistens handelt es sich dabei um gut ausgebildete oder gar studierte Kaufleute, die entsprechend vorbelastet und belesen sind, seltener um Handwerker oder Händler.
Die Berater haben dann im Erstgespräch meist die Aufgabe, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie letztlich durch ihre Rechtsformwahl, die ja eigentlich auch ihrem Schutz dienen sollte, in ein strafrechtliches Problem geraten sind, welches Unternehmer, die mit ihrem gesamten Vermögen haften, in der Regel nicht haben. Dem folgt zudem meist die Beratung über die trotzdem bestehende Haftung bezüglich einzelner Gläubiger und gegen die Gesellschaft gerichteter Forderungen, und vor allen Dingen gegenüber dem potentiellen Insolvenzverwalter.
Die Coronakrise hat diese Fälle leider noch deutlicher zu Tage gebracht, weil viele, auch bedingt durch teilweise unscharfe Berichterstattung, dachten, alle seien in Hinblick auf die Befreiung der Antragspflicht privilegiert. Dabei haben unterschiedliche Voraussetzungen mit vielen zeitlichen Faktoren eine Rolle gespielt, ob man tatsächlich zu dem Kreis der Unternehmen gehörte, die von dieser gesetzlichen Regelung überhaupt betroffen waren. Ohne anwaltlicher Beratung war es jedenfalls für einen Kleinunternehmer nur schwer zu erkennen, ob die Antragspflicht für das eigene Unternehmen auch suspendiert war, dies werde aber vielmals fälschlicherweise angenommen.
Diese Unwegbarkeiten sollten den Gesetzgeber anregen über eine Neuausrichtung nachzudenken, da die mit der heute strafbewehrten zeitlich sehr eng ausgelegten Insolvenzantragspflicht erwarteten Lenkungswirkungen offensichtlich - zumindest bei kleinen Unternehmen - nicht mehr zu erwarten sind. Ein Blick in das Ausland zeigt, dass die reine Insolvenzverschleppung in der bei uns verstandenen Form längst nicht überall strafbar ist und dort die finanziellen Schäden durch Insolvenzen statistisch teillweise sogar niedriger sind. Großbritannien, heute nicht mehr Mitglied der EU, hat im Zeitraum von 2016 bis 2020 (Quelle: Statista) eine auf die Einwohner bezogene fast identische Anzahl von Unternehmensinsolvenzenzen wie Deutschland, obwohl eine derart strenge und strafbewehrte Insolvenzantragspflicht wie in Deutschland dort beispielsweise gar nicht existiert.
Allen Unternehmern, insbesondere die gleichfalls Geschäftsleitungsorgane einer GmbH oder UG sind, raten wir dringend, selbst bei geringsten Zweifeln an der finanziellen Leistungsfähigkeit und Solidität der Finanzlage sich bei einem in Insolvenzangelegenheiten erfahrenen Rechtsanwalt Rat zu suchen um nicht in die Gefahr einer strafrechtlichen Problematik zu gelangen. Insolvenzen finden heute im Allgemeinen mehr gesellschaftliches Verständnis als vor einigen Jahrzehnten, daher sollten Betroffene ohnehin nicht aus falschem Stolz an dieser Stelle unnötig zögern, auch wenn die gegenwärtige Gesetzeslage vielleicht in vielen Teilen nicht mehr dem Zeitgeist entspricht.